Der Begriff 'Hypomnemata' stammt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich 'Gedächtnisstützen'. In der antiken Welt dienten diese Aufzeichnungen als eine Art persönliches philosophisches Tagebuch. Sie waren ein Ort, an dem Menschen ihre Gedanken, Überlegungen und Selbstreflexionen festhielten. Diese Art der Selbstschreibung hatte einen moralischen und spirituellen Zweck: Sie war dazu gedacht, den Schreiber zu einem besseren und tugendhafteren Leben zu führen.
Markus Aurelius spricht, zumindest im Originaltext in 3.14 auf altgriechisch, von seinen Selbstbetrachtungen als hypomnematia1.
Die einzelnen Selbstbetrachtungen sind zum einen Reflexionen, wie ein Tagebuch, und zum anderen auch eine philosophische Übung - mit einem bestimmten System.
Für einen prokopton der stoischen Philosophie ist es wichtig, seinem Ideal näher zu kommen und es im Kopf zu behalten: das Ideal des guten Menschen 2.
Darunter fällt dann zum Beispiel, dass man das akzeptiert, was gerade passiert, gerecht handelt und seine Eindrücke und Gedanken zu prüfen:
Immer steht es bei dir, das gegenwärtige Geschick zu segnen, mit denen, die dir grade nahe stehen, nach Recht und Billigkeit zu verfahren, und die Gedanken, die sich dir eben darbieten, ruhig durchzudenken, ohne dich an das Unbegreifliche zu kehren.
7.54
Viele der Selbstbetrachtungen/Meditationen präsentieren diese drei Lebensregeln - oder eine von ihnen - in verschiedenen Formen.
Diese praktischen Regeln verkörpern eine globale Haltung, eine Vision der Welt und eine grundlegende innere Entscheidung, die in einem "Diskurs" oder in universellen Formeln ausgedrückt wird, die Marcus, in Anlehnung an Epiktet, Dogmata nennt. Ein Dogma ist ein universelles Prinzip, das eine spezifische praktische Handlungsweise begründet und rechtfertigt und in einer oder mehreren Aussagen formuliert werden kann.
Viele stoische dogmata lassen sich bei Marcus Aurelius entdecken - daher lohnt es sich, sie regelmäßig zu lesen.
Das wusste auch Marcus:
Deine Lebensgrundsätze (dogmata) werden stets ihre Gültigkeit für dich behalten, solange dir die ihnen entsprechenden Grundbegriffe nicht abhanden gekommen sind.
Das aber kannst du verhindern, indem du dieselben immer wieder zu neuem Leben in dir anfachst und über das, was notwendig ist, nicht aufhörst nachzudenken…
7.2
Auffällig sind bei den Selbstbetrachtungen auch die sog. kephalaia: das sind Auflistung envon dogmata, die zusammen ihre psychische Wirksamkeit erhöhen 3.
Im Kern lassen sich diese Dogmata auf Kerndogmata von drei Disziplinen (ähnlich oder gleich den topoi Epiktets) zurückführen:
1) Die Disziplin des Urteilens/der Zustimmung, setzt das Dogma von der Vorsehung und Rationalität des Universums voraus und zielt auf Objektivität ab.
2) Die Disziplin des Begehrens setzt Dogmen voraus, die sich auf die universale Natur beziehen und auf eine innere Haltung von Akzeptanz abzielt.
3) Die Disziplin des Handelnwollens setzt jene Dogmen voraus, die die Existenz einer Gemeinschaft vernünftiger Wesen bestätigen und zu Haltungen von Altruismus und Gerechtigkeit führen 4.
Spannend ist, diese drei Disziplinen in den Selbstbetrachtungen zu erkennen:
Immer steht es bei dir, das gegenwärtige Geschick zu segnen, (Begehren) mit denen, die dir grade nahe stehen, nach Recht und Billigkeit zu verfahren, (Handelnwollen) und die Gedanken, die sich dir eben darbieten, ruhig durchzudenken, (Urteilen) ohne dich an das Unbegreifliche zu kehren.
7.54
oder hier
Unterdrücke die bloße Einbildung, (1) trenne den Trieb, (3) dämpfe die Begierde; (2) erhalte dem herrschenden Teil deiner Seele die Herrschaft über sich selbst!
9.7
Schreibe deine eigenen dogmata auf Basis der stoischen Dogmen und der drei Disziplinen. Lasse das zu einer regelmäßigen Übung, bspw. am morgen, werden. Denn die dogmata müssen regelmäßig aufgefrischt oder korrigiert werden.