Wer unrecht handelt, handelt gottlos. Denn die Natur hat die vernünftigen Wesen füreinander geschaffen nicht daß sie einander schaden, sondern nach Würdigkeit einander nützen sollen. Wer ihr Gebot übertritt, frevelt demnach offenbar wider die älteste der Gottheiten. Auch der mit Lügen umgeht, ist gottlos. Denn die Natur ist das Reich des Seienden. Alles aber, was ist, stimmt als solches überein mit seinem Grunde. Und diese Übereinstimmung nennt man Wahrheit. Auf ihr beruht alles, was man wahr nennt im einzelnen Falle. Der Lügner also handelt gottlos, weil er andere betrügt und somit unrecht handelt, tut er´s mit Absicht. Geschieht es unwillkürlich weil er nicht mit der Natur im Einklang ist, handelt er gottlos, weil er die Ordnung stört, indem er ankämpft gegen das Ganze. Denn im Kampf ist jeder, der sich wider die Wahrheit bestimmt, weil er von Natur für sie bestimmt ward. Wer aber dies außer acht läßt, ist schon so weit, Wahrheit und Lüge nicht unterscheiden zu können. Endlich handelt auch der gottlos, der dem Vergnügen nachgeht als einem Gute und vor dem Schmerz als einem Übel flieht, da ein solcher notwendig oft in den Fall kommt, die Natur zu tadeln, als teile sie den Guten und den Schlechten ihre Gaben nicht nach Verdienst aus. Denn wie oft genießen böse Menschen Glück und Freude, und haben, was ihnen Freude schaffen kann, während die Guten dem Leid anheimfallen und dem, was Leiden schafft. Ferner wird, wer sich vor dem Schmerze fürchtet, auch nicht ohne Furcht in die Zukunft blicken können, was schon gottlos ist, während der, der nach Lust strebt, sich kaum des Unrechts wird enthalten können, was offenbar gottlos ist. Und jedenfalls muß doch, wer in Übereinstimmung mit der Natur leben und ihr folgen will, gleichgültig gegen das sein, wogegen sich die Natur gleichgültig verhält, das aber tut sie gegen Lust und Schmerz, gegen Tod und Leben, Ehre und Schande. Wer also alles dies nicht gleichgültig ansieht, ist offenbar gottlos. Die gemeinsame Natur aber, sage ich, bedient sich derselben nach einerlei Regel (das heißt, sie begegnet nach dem Gesetz der Aufeinanderfolge den jetzigen wie den künftigen nach einerlei Regel) kraft eines uranfänglichen Zuges der Vorsehung, vermöge dessen sie von einem bestimmten Anfang her zur gegenwärtigen Welteinrichtung fortschritt, indem sie gewisse Grundstoffe des Werdenden zusammenfaßte und die erzeugenden Kräfte der Stoffe selbst, ihrer Verwandlungen und ihrer derartigen Aufeinanderfolge abgrenzte.
Besser wär´s, wenn man die Welt verlassen könnte, ehe man all die Lüge und Heuchelei, den Prunk und Stolz geschmeckt. Hat man nun aber diese Dinge einmal schmecken müssen, so ist´s doch wohl der günstigere Fall, dann bald die Seele auszuhauchen, als mitten in dem Elend sitzen zu bleiben? Oder hat dich die Erfahrung nicht gelehrt, die Pest zu fliehen? und welche Pest ist schlimmer, die Verdorbenheit der uns umgebenden Luft, die Pest, die nur das tierische Wesen als solches trifft, oder die Verderbnis der Seele, die eigentliche Menschenpest?
Denke nicht gering vom Sterben, sondern laß es dir wohlgefallen wie eines der Dinge, in denen sich der Wille der Natur ausspricht. Denn von derselben Art wie das Kindsein und das Altsein, das Wachsen und Mannbarwerden oder das Zahnen und Bärtigwerden und Graues-Haar-Bekommen oder das Zeugen und Gebären und alle diese Tätigkeiten der Natur, wie sie die verschiedenen Zeiten des Lebens mit sich bringen, ist auch das Sterben. Daher ist es die Sache eines verständigen Menschen, weder mit Gleichgültigkeit noch mit heftiger Gemütsbewegung noch in übermütiger Weise an den Tod zu denken, sondern auf ihn zu blicken eben wie auf eine jener Naturwirkungen. Und wie du des Augenblickes harrst, wo das Kindlein der Mutter Schoß verlassen haben wird, so erwarte auch die Stunde, da deine Seele dieser Hülle entweichen wird. — Eindringlich ist auch jene gewöhnliche Regel, die man gibt, um jemand zur Zufriedenheit mit dem Lose der Sterblichkeit zu stimmen: einmal, sieh dir die Dinge genau an, von denen du dich trennen mußt, und dann in ethischer Beziehung, welch ein Elend, womit du einst nicht mehr verflochten sein wirst! Zwar ist es keineswegs nötig, sich daran zu stoßen, Pflicht ist es vielmehr, es zu lindern oder ruhig zu ertragen, allein man darf doch daran denken, daß es nicht eine Trennung gilt von gleichgesinnten Menschen. Denn dies wäre das einzige, was uns rückwärts ziehen und an das Leben fesseln könnte, wenn es uns vergönnt wäre, mit Menschen zusammenzuleben, die von denselben Grundsätzen und Ideen beseelt sind wie wir. Nun aber weißt du ja, welches Leiden der Zwiespalt ist, der unter den Menschen herrscht, und kannst nicht anders als den Tod anflehen, daß er eilig kommen möge, damit du nicht auch noch mit dir selbst in Zwiespalt gerätst.
Wer unrecht handelt, schadet sich selbst.
Oft tut auch der Unrecht, der nichts tut, nicht bloß, der etwas tut.
Wenn du gesundes Urteil hast und die Gewohnheit, für andere zu handeln, und ein Gemüt, das mit den äußeren Verhältnissen zufrieden ist, so hast du genug.
Unterdrücke die bloße Einbildung, trenne den Trieb, dämpfe die Begierde; erhalte dem herrschenden Teil deiner Seele die Herrschaft über sich selbst!
Wie es nur eine Erde gibt für alles Irdische, ein Licht für alles, was sehen, und eine Luft für alles, was atmen kann, so ist es auch nur ein Geist, der unter sämtliche Vernunftwesen verteilt ist.
Alle Dinge von derselben Art streben zueinander als zu dem Gleichartigen hin. Alles, was von Erde ist, gleitet zur Erde, alles Flüssige läuft zusammen, und so auch das Luftige, so daß es der Gewalt bedarf um solche Dinge auseinanderzuhalten. Das Feuer hat zwar seinen Zug nach oben, vermöge des Elementarfeuers, aber auch da erfaßt es alles ihm Ähnliche und bringt die trockeneren Stoffe zum Brennen, eben weil diesen weniger von dem beigemischt ist, was ein Entflammen hindert. Ebenso nun und noch mehr strebt auch alles, was der vernünftigen Natur angehört, zueinander hin. Denn je edler es ist als das übrige, um so bereiter ist es auch, sich dem Verwandten zu einen und mit ihm zusammenzugehen. Schon auf der Stufe der vernunftlosen Wesen finden sich Scharen und Herden, findet sich das Auffüttern der Jungen, eine Art von Liebe. Denn schon hier ist Seele und jener Gemeinschaftstrieb in höherer Weise, als er in der Pflanzenwelt und im Gestein sich findet. Bei den Vernunftbegabten nun kommt es zu Staaten, Freundschaften, Familien, Genossenschaften, und in den Kriegen selbst zu Bündnissen und Waffenstillständen. Und wenn wir zu den noch höheren Wesen fortschreiten, mögen sie auch um Unendlichsten auseinander sein: auch da ist Einheit, wie bei den Sternen; so daß, je höher wir kommen, desto entschiedener die Sympathie sich auch auf die Entferntesten erstreckt. Aber was geschieht? Die vernünftigen Wesen allein sind es, die dieses Zueinanderstrebens, dieses Zusammenhaltens nicht eingedenk bleiben, und hier allein vermag man jenes Zusammenfließen nicht wahrzunehmen! Und dennoch — : mögen sie sich immerhin fliehen, sie umschließen sich doch. Die Natur zwingt sie. Man sehe nur genau! Eher findest du Erde, die nicht an Erde hängt, als einen Menschen vom Menschen abgelöst.
Frucht bringen Mensch und Gott und Welt, ein jegliches zu seiner Zeit, in anderer Weise freilich als der Weinstock und dergleichen Dinge. Auch die Vernunft hat ihre Frucht, von allgemeiner und von individueller Art. Und was aus ihr hervorgeht, ist eben immer wieder — Vernunft.
Belehre den Fehlenden eines Besseren, wenn du es vermagst. Wo nicht, erinnere dich, daß dir für diesen Fall Nachsicht verliehen ist. Auch die Götter sind nachsichtig, ja sie sind den Fehlenden zu einigem, wie Gesundheit, Reichtum, Ehre behilflich. So gütig sind sie! Auch du kannst es sein. Oder, sage, wer hindert dich daran?
Leide nicht mit der Miene eines Unglücklichen oder in der Absicht, bewundert oder bemitleidet zu werden. Wolle vielmehr nur das eine, deine Kraft in Bewegung zu setzen oder zurückzuhalten, wie es das Gemeinwesen erheischt.
Heut, sprichst du, bin ich aller meiner Plage entronnen. Sag lieber: heut hab ich all meine Plage abgeworfen. Denn in dir, in deiner Vorstellung war sie, nicht außer dir.
Alles bleibt sich gleich. Gewöhnlich in Hinsicht auf Erfahrung, vergänglich in Hinsicht auf Zeit, schmutzig in Hinsicht des Stoffes. Alles, was jetzt ist, war ebenso bei denen, die wir bestattet haben.
Die sinnlich wahrnehmbaren Gegenstände sind außer uns. Einsam stehen sie sozusagen vor unserer Tür. Sie wissen nichts von sich selbst, urteilen auch nicht über sich. Wer urteilt also über sie? Der herrschende Teil unserer Seele.
Gut und Böse, Tugend und Laster ruhen bei vernunftbegabten Wesen nicht auf einem Zustande, sondern auf einer Tätigkeit.
Für den emporgeworfenen Stein ist es ebensowenig ein Glück, in die Höhe zu fliegen, als ein Unglück herabzufallen.
Dringe in das Innere der Seele bei den Herrschenden und du wirst sehen, vor was für Richtern du dich fürchtest und was für Richter sie über sich selbst sind.
Alles wechselt stets. Auch du selbst bist im steten Wechsel begriffen, um nicht zu sagen in Verwesung. Ebenso die ganze Welt.
Das Vergehen eines anderen muß man bei ihm lassen.
Das Aufhören der Tätigkeit, Stillstehen der Triebe und der Vorstellungen — der Tod — ist kein Übel. Denn wie ist es mit den verschiedenen Stufen des Lebens, mit der Kindheit, der Jugend, dem Mannes- und Greisenalter? ist nicht ihr Wechsel — Tod? und ist das etwas Schlimmes? Nicht anders der Wechsel der Zeiten. Die Zeiten der Vorväter hören auf mit dem Zeitalter der Väter usf. Ist bei allen diesen Veränderungen etwas Schlimmes? Also auch nicht, wenn dein Leben wechselt, stillsteht und aufhört.
Forsche in deiner eigenen Seele, in der Seele des Weltganzen und in der deines Nächsten. In deiner eigenen, um ihr Sinn für Gerechtigkeit einzuflößen, in der des Weltganzen, um dich zu erinnern, wovon du ein Teil bist, in der des Nächsten, um zu erkennen, ob er wissentlich oder unwissentlich handelt und um zu fühlen, daß sie der deinigen verwandt sei.
So wie deine ganze Persönlichkeit der ergänzende Teil eines Gemeinwesens ist, so soll auch jede deiner Handlungen das gemeinschaftliche Handeln dieses Gemeinwesens ergänzen. Tut sie dies nicht, ist sie mehr oder weniger diesen Absichten fern, so zerstückelt sie dein Leben, hindert seine Harmonie, ist aufrührerisch wie ein Mensch, der im Volke seine Partei dem Zusammenwirken mit den andern entfremdet.
Wie Knabenzänkereien und Kinderspiele, so flüchtig sind unsere Lebensgeister, mit Leichen belastet. Warum sollte da die Totenfeier einen Eindruck auf uns machen.
Gehe auf das Wesen der ursächlichen Kraft jedes Gegenstandes ein und sieh bei deiner Betrachtung von seinem Stoff ab und bestimme zum Schluß die längste Spanne Zeit, die er in seiner ihm eigentümlichen Art dauert.
Du hast unendlich gelitten lediglich deshalb, weil deine Seele sich nicht begnügte zu tun, wozu sie gemacht ist.
Wenn jemand dich tadelt oder haßt oder Schlechtes von dir redet, so gehe heran an seine Seele, dringe ein, und sieh, was er eigentlich für ein Mensch sei. Du wirst finden, daß du dich nicht zu beunruhigen brauchst, was er auch von dir denken mag. Du mußt ihm jedenfalls wohlgesinnt bleiben, da er von Natur dein Freund ist, und da ihm sicherlich auch die Götter helfen, wie dir, in all den Dingen, um die sie Sorge tragen.
Alles in der Welt dreht sich im Kreise, von oben nach unten, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Und doch auch in jedes Einzelwesen dringt die Seele des Alls. Ist dies, so nimm, was sie hervortreibt, mag sie nun einmal nur sich schöpferisch bewiesen haben, so daß nun eins aus dem andern mit Notwendigkeit folgt und alles eigentlich nur eines ist, oder mag alles atomengleich entstehen und bestehen. Gleichviel. Denn gibt es einen Gott, so steht alles gut; ist aber alles nur von ungefähr, darfst du doch nicht von ungefähr sein!
Einem reißenden Strom gleicht die Welt: Alles führt sie dahin. Wie nichtig die Taten des Menschen, die er politisch oder philosophisch nennt, wie eitel Schaum! Aber was nun, lieber Mensch? Tue, was die Natur gerade jetzt von dir fordert. Strebe, wenn dir ein Gegenstand des Strebens gegeben wird, und blicke nicht um dich, ob´s einer sieht. Auch bilde dir den Platonischen Staat nicht ein, sondern sei zufrieden wenn es nur ein klein wenig vorwärts geht und halte solchen kleinen Fortschritt nicht gering. Denn wer wird ihre Gesinnung ändern? Ohne eine solche Änderung der Gesinnung aber, was würde anderes daraus entstehen, als ein Knechtsdienst unter Seufzen, ein Gehorsam solcher, die sich stellen, als wären sie überzeugt. Die Alexander, Philippus, Demetrius von Phalerum mögen zusehen, ob sie erkannt, was die Natur will, und ob sie sich selbst in Zucht gehalten haben. Waren es aber Schauspieler, wird mich doch niemand dazu verdammen, sie nachzuahmen. Einfalt und Würde kennzeichnen das Geschäft der Philosophie. Verführe du mich nicht zur Aufgeblasenheit!
Betrachte wie von einer Anhöhe aus die unzähligen Volkshaufen mit ihren unzähligen Religionsgebräuchen, die Seefahrten nach allen Windrichtungen unter Stürmen und bei ruhiger See und die Verschiedenheiten zwischen den Dingen, die werden, sind und vergehen! Betrachte auch die Lebensweise, wie sie vormals unter anderen war, wie sie nach dir sein wird und wie sie jetzt unter fremden Völkern herrscht! Ferner wie viele nicht einmal deinen Namen kennen, wie viele ihn bald vergessen werden, wie viele jetzt vielleicht deine Lobredner, nächstens deine Tadler sind und wie weder der Nachruhm, noch das Ansehen, noch sonst etwas von allem, was dazu gehört, der Rede wert ist.
Ein unerschütterliches Herz den Dingen gegenüber, die von außen kommen, ein rechtschaffenes in denen, die von dir abhängen! Das heißt, dein Streben und Tun finde Ziel und Zweck in gemeinnütziger Tätigkeit; denn das ist deiner Natur gemäß.
Viel unnötigen Anlaß zu deiner Beunruhigung, die ganz und gar auf deinem Wahn beruht, kannst du aus dem Weg schaffen und dir selbst unverzüglich weiten Spielraum eröffnen. Umfasse nur mit deinem Geist das Weltall, betrachte die Ewigkeit und dann wieder die schnelle Verwandlung jedes einzelnen Dings: welch kurzer Zeitraum liegt zwischen seiner Entstehung und Auflösung, wie unermeßlich ist die Zeit vor seinem Werden, wie unendlich nach seinem Ende.
Das ist die stoische Übung Der Blick von oben.
Was du um dich siehst, wird bald zerstört und wer dieser Zerstörung zuschaut, wird selbst auch sehr bald zerstört und durch den Tod wird der älteste Greis mit dem Frühverstorbenen in denselben Zustand versetzt.
Wie ihr Inneres beschaffen ist, welche Interessen sie verfolgen, um welcher Dinge willen sie Lieb und Achtung zollen, das suche zu erforschen, mit einem Wort: die nackten Seelen! — Wenn man glaubt, durch Tadel Schaden und durch Lob Nutzen zu stiften, welch ein Glaube!
Verlust ist nichts anderes als Veränderung, die die Natur so liebt, wie wir wissen, — sie, die doch alles richtig macht. Oder wolltest du sagen, alles, was geschehen sei oder geschehen werde, sei schlecht? Aber sollte sich dann unter so vielen Göttern nicht wenigstens eine Macht finden, die es wieder zurechtbrächte? und die Welt sollte verdammt sein, in den Banden unaufhörlicher Übel zu liegen?
Der Stoff jeden Dinges ist Fäulnis: Wasser, Staub, Knochen, Schmutz. Die Marmorbrüche sind Verhärtungen der Erde, Gold, Silber ihr Bodensatz, unsere Kleider — Tierhaare, Purpur, Blut und alles übrige ist von der Art. Selbst der Lebensgeist ist von solcher Art, denn er ist auch steter Umwandlung unterworfen.
Genug des elenden Lebens, des Murrens und des äffischen Benehmens! Warum bist du unruhig, was findest du hier so unerhört? Was bringt dich außer Fassung? Die ursächliche Kraft der Dinge? Betrachte sie nur! Aber vielleicht der Stoff? Sieh ihn nur an! Sonst gibt es aber nichts. Sei also doch endlich argloser und freundlicher gegen die Götter! Es ist ja einerlei, ob du diese Untersuchungen hundert oder nur drei Jahre anstellst.
Hat sich jemand vergangen, trägt er den Schaden. Vielleicht hat er sich aber gar nicht vergangen.
Entweder ist ein denkendes Wesen die Urquelle des ganzen Weltalls, von der aus dem All als einem Körper alles zuströmt. Dann darf sich der Teil über das, was zum Nutzen des Ganzen geschieht, nicht beklagen Oder das All ist ein Gewirr von Atomen, zufällig gemischt und zufällig getrennt. Wozu dann deine Unruhe? Sprich nur zu deiner Vernunft: “Du bist tot, schon in Verwesung und wie ein Tier, das auf die Weide geht und seinen Hunger stillt.”
Entweder die Götter vermögen nichts, oder sie haben Macht. Können sie nichts, was betest du? Haben sie aber Macht, warum bittest du sie nicht lieber darum, daß sie dir geben, nichts zu fürchten, nichts zu begehren, dich über nichts zu betrüben, als darum, daß sie dich vor solchen Dingen, die du fürchtest, bewahren oder solche, die du möchtest, dir gewähren? Denn wenn sie den Menschen überhaupt helfen können, so können sie ihnen doch auch dazu verhelfen. Aber vielleicht entgegnest du, das hätten die Götter in deine Macht gestellt. Nun, ist es denn da nicht besser, was in unserer Macht steht, mit Freiheit zu gebrauchen, als mit knechtischem gemeinem Sinn dahin zu langen, was nicht in unserer Macht steht? Wer aber hat dir gesagt, daß die Götter uns in den Dingen, die in unserer Hand liegen, nicht beistehen? Fange nur an, um solche Dinge zu bitten, dann wirst du ja sehen! Einer bittet, er möchte frei werden von einer Last? du bitte, wie du´s nicht nötig haben möchtest, davon befreit zu werden. Jener, daß ihm sein Kind erhalten werden möge? du, daß du nicht fürchten mögest, es zu verlieren usf. Mit einem Wort, gib allen deinen Gebeten eine solche Richtung, und sieh, was geschehen wird.
Epikur erzählt: in meinen Krankheiten erinnere ich mich nie eines Gesprächs über die Leiden des Menschen; nie sprach ich mit denen, die mich besuchten, darüber. Sondern ich arbeitete weiter, über naturhistorische Gegenstände im allgemeinen und besonders nachdenkend, wie die Seele, trotzdem, daß sie an den Bewegungen im Körper teilhat, ruhig bleiben und das ihr eigentümliche Gut bewahren möge. Auch gab ich den Ärzten niemals Gelegenheit, sich meinetwegen zu rühmen, als hätten sie etwas ausgerichtet, sondern lebte nachher nicht angenehmer und besser wie vorher. So halte es auch du, in Krankheiten nicht bloß, sondern in jeder Widerwärtigkeit. Den Grundsatz haben alle Philosophenschulen, gerade unter mißlichen Verhältnissen der Philosophie sich treu zu zeigen, mit Leuten, die dem wissenschaftlichen Denken fernstehen, lieber nicht zu schwatzen und seine Gedanken lediglich auf das jedesmal zu Tuende und auf die Mittel zur Ausführung dessen, was uns obliegt zu richten.
Sooft dir jemand mit seiner Unverschämtheit zu nahe tritt, lege dir die Frage vor, ob es nicht Unverschämte in der Welt geben müsse? Denn das Unmögliche wirst du doch nicht verlangen. Und dieser ist nun eben einer von den Unverschämten, die es in der Welt geben muß. Dasselbe gilt von den Schlauköpfen, von den Treulosen, von jedem Lasterhaften. Und sobald dir dieser Gedanke geläufig wird, daß es unmöglich ist, daß solche Leute nicht sind, siehst du dich auch sofort freundlicher gegen sie gestimmt. Ebenso frommt es, daran zu denken, welche Tugend die Natur jeder dieser bösen Richtungen gegenüber dem Menschen verliehen hat. So gab sie z.B. der Lieblosigkeit gegenüber, gleichsam als Gegengift die Sanftmut. Überhaupt aber steht dir frei, den Irrenden eines Besseren zu belehren. Und ein Irrender ist jeder Böse: er führt sich durch sein Unrecht selbst vom vorgesteckten Weg ab. Was aber schadet dir´s? Vermag er etwas wider deine Seele? — Und was ist denn Übles oder Fremdartiges daran, wenn ein zuchtloser Mensch tut, was eben eines solchen Menschen ist. Eher hättest du dir selbst darüber Vorwürfe zu machen, daß du nicht erwartet hast, er werde solches tun. Deine Vernunft gibt dir doch Anlaß genug zu dem Gedanken, daß es wahrscheinlich sei, er werde sich auf diese Weise vergehen, und nun, weil du nicht hörst auf das, was sie dir sagt, wunderst du dich, daß er sich vergangen hat! Jedesmal also, wenn du jemand der Treulosigkeit oder der Undankbarkeit beschuldigst, richte den Blick in dein eigenes Innere. Denn offenbar ist es doch dein Fehler, wenn du einem Menschen von solchem Charakter dein Vertrauen schenktest oder wenn du ihm eine Wohltat erwiesest mit allerlei Nebenabsichten und ohne den Lohn deiner Handlungsweise nur in ihr selbst zu suchen. Was willst du denn noch weiter, wenn du einem Menschen wohlgetan? Ist´s nicht genug, daß du deiner Natur entsprechend gehandelt? strebst du nach einer besonderen Belohnung? Als ob das Auge Bezahlung forderte dafür, daß es sieht, und die Füße dafür, daß sie schreiten! Und wie Aug´ und Fuß dazu geschaffen sind, daß sie das Ihrige haben in der Erfüllung ihrer natürlichen Verrichtungen, so hat auch der Mensch, zum Wohltun geschaffen, sooft er ein gutes Werk getan und anderen irgendwie äußerlich beistand, eben nur getan, wozu er bestimmt ist, und empfängt darin das Seinige.
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