Mag es immerhin deinen Ehrgeiz herabdrücken, daß du nicht allezeit, daß du zumal in deiner Jugend nicht wie ein Philosoph gelebt hast, sondern vielen anderen und dir selbst auch als ein Mensch erschienen bist, der von der Philosophie weit entfernt ist, so daß es dir nicht leicht sein dürfte, dir noch das Ansehen eines Philosophen zu verschaffen. Ein solcher Strich durch deine Rechnung ist nur heilsam. Genügen muß es dir nun, von jetzt an so zu leben, wie es deine Natur vorschreibt. Achte also darauf, was sie will, und laß dich durch nichts davon abbringen. Du hast so manches versucht, dich hierhin und dorthin gewendet, aber nirgends dein Glück gefunden, nicht im Spekulieren nicht im Reichtum, nicht in der Ehre, nicht in der Sinnenlust, nirgends. Wo ist es denn nun wirklich? Nur im Tun dessen, was die menschliche Natur begehrt. Und wie gelangt man dazu? Dadurch, daß man die Grundsätze festhält, aus denen ein solches Streben und Handeln mit Notwendigkeit hervorgeht, die Grundsätze, daß dem Menschen nichts gut sei, was ihn nicht gerecht, mäßig, standhaft und frei macht, und daß nichts böse sei, was nicht das Gegenteil von alledem hervorbringt.
Bei jeder Handlung frage dich: wie steht es eigentlich damit? wird es dich auch nicht gereuen? Eine kurze Zeit nur noch, und du bist tot und alles hat aufgehört. Wenn aber das, was du vorhast, einem Wesen geziemt, das Vernunft hat, auf die Gemeinschaft angewiesen ist und nach denselben Gesetzen wie die Götter leben soll, was verlangst du mehr?
Mit welcher Intention gehst du die Dinge an? Mehr zur Intentionalität
Was sind Alexander, Cajus und Pompejus gegen Diogenes, Heraklit und Sokrates? Denn diese hatten die Welt der Dinge erforscht und kannten den Grund und die Weise ihres Bestehens, und ihre Seelen blieben sich immer gleich. Bei jenen aber, welche Furcht vor den Dingen und welche Abhängigkeit von ihnen!
— Nur fein ruhig und gelassen: sie werden dasselbe tun, auch wenn du dich zerrissest!
Zunächst laß dich nicht beunruhigen, alles geht seinen Gang, wie es der Natur gemäß ist. Noch eine kurze Frist und du bist nirgends mehr, wie Hadrian und Augustus. Dann fasse deine Lebensaufgabe unverwandten Blicks ins Auge und denke daran, daß du ein guter Mensch sein sollst. Was die menschliche Natur von dir fordert, tue unbeirrt, sage nur, was dir durchaus gerecht erscheint und dies auf wohlwollende, bescheidene und offenherzige Art.
Es ist Aufgabe der großen Natur, das Vorhandene von einer Stelle zur anderen zu versetzen, es umzumodeln wegzuräumen und neu einzupflanzen. Alles ist Wechsel! Man darf also das Neue nicht bang erwarten. Alles ist Gewohnheit, aber auch alles gleichmäßig verteilt.
In der gesamten Natur liegt die Tendenz, sich wohlzuverhalten. Die Natur der vernunftbegabten Wesen ist aber nur dann in ihrem normalen Zustande, wenn sie, was das Gedankenleben betrifft, weder der Unwahrheit, noch dem Unerkannten beifällt, wenn sie die Strebungen der Seele nur auf gemeinnützige Werke richtet, unseren Neigungen und Abneigungen nur solche Gegenstände gibt, die in unserer Macht stehen, und wenn sie alles billigt, was die gesamte Natur über uns verhängt. Denn sie ist ein Teil dieser Allnatur, wie die Natur des Blattes ein Teil der Baumnatur ist, nur daß diese als fühllose und vernunftlose in ihrem Bestehen gehemmt werden kann, während die menschliche Natur ein Teil der ungehinderten, vernünftigen und gerechten Natur ist, vor der die zu ihr gehörigen Einzelwesen untereinander gleich sind, indem sie jedem von Zeit und Stoff und Form und Fähigkeit so viel gibt, als seinem Wesen entspricht, eine Gleichheit, die wir freilich nicht sehen, wenn wir die Einzelwesen untereinander vergleichen, sondern nur, wenn wir deren Gesamtheit mit der der andern Ordnung zusammenhalten.
Eine schöne Erinnerung Marcus' daran, was auch Epiktet so oft erzählt: mache den richtigen Gebrauch von den Vorstellungen. Das Streben (horme) soll sich auf das gemeinnützige beziehen, nur mit Hilfe der Dinge, die in unserer Macht sind und wenn das Bild, was wir von den Dingen haben, ein objektives ist. Dies entspricht der vernünftigen Natur des Menschen, die ein Teil der Allnatur (Gott, Kosmos) ist.
So manches geziemt sich nicht zu jeder Zeit. Wohl aber geziemt sich´s immer, den Stolz zurückzudrängen, Freud und Leid gering zu achten, über ehrgeizige Gelüste erhaben zu sein, gefühllosen und undankbaren Menschen nicht zu zürnen, ja vielmehr sich ihrer anzunehmen.
Niemand höre hinfort von dir, daß du das Leben am Hofe überhaupt oder nur das deinige tadelst.
Die Reue ist eine Selbstanklage darüber, daß man sich einen Vorteil hat entgehen lassen. Das Gute aber ist notwendigerweise vorteilhaft und somit auch die Sorge des guten und edlen Menschen. Dagegen hat wohl noch nie der edle Mensch darüber Reue gefühlt daß er sich ein Vergnügen hat entgehen lassen; woraus zu entnehmen ist, daß die Lust nichts Vorteilhaftes und nichts Gutes ist.
Was ist dieser Gegenstand hier seinem Wesen und seinen Eigenschaften nach? Was ist er nach seinem Stoff? Welche Kraft wirkt in ihm? Was tut er in der Welt und wie lange ist seine Dauer?
Mehr zur Übung des „Zerlegens“ findest du hier: Zerlegen des Objekts
Sooft du verdrossen vom Schlaf erwachst, bedenke, daß gemeinnützige Handlungen deinen Anlagen und deinem Charakter entsprechen, der Schlaf dir aber mit den vernunftlosen Tieren gemeinsam ist. Was nun der Natur eines jeden Wesens entspricht, ist demselben verwandter, angemessener, ja sogar angenehmer.
Ohne Unterlaß und womöglich bei jedem Gedanken wende die Lehren der Physik, der Ethik und der Dialektik an!
Sobald du weißt, was für Ansichten und Grundsätze einer hat über Gut und Böse, über Lust und Schmerz und über die Wirkungen beider, über Ehre und Schande, Leben und Sterben, kann dir nicht wunderbar und fremdartig vorkommen, was er tut; du weißt alsdann: er ist gezwungen, so zu handeln. Und ferner wenn sich doch kein Mensch darüber wundert, daß der Feigenbaum Feigen trägt, und der Arzt nicht, wenn jemand das Fieber hat, noch der Steuermann wenn der Wind entgegensteht; warum also befremdlich finden, daß das Weltganze hervorbringt, was dem Keime nach in ihm liegt?
Seine Meinung zu ändern, und dem, der sie berichtigt, Gehör zu schenken, ist nichts, was unsere Selbständigkeit aufhebt. Es ist ja doch auch dann dein Trieb und Urteil, dein Sinn, aus welchem deine Tätigkeit hervorgeht.
Lag´s an dir, warum hast du´s getan? War ein anderer schuld, wem willst du Vorwürfe machen? Den Atomen oder den Göttern? Beides ist Unsinn. Du hast niemand Vorwürfe zu machen. Suche den, der schuld war, eines Besseren zu belehren, oder wenn dies nicht möglich, bessere an der Sache selbst. Aber auch, wenn dieses nicht angeht, wozu dienen die Vorwürfe? Man muß eben nichts ohne Überlegung tun.
Was stirbt, kommt darum noch nicht aus der Welt. Aber wenn es auch hier bleibt, verändert es sich doch und löst sich auf in seine Grundstoffe, in die Elemente der Welt und in deine. Und auch diese ändern sich — ohne Murren.
Jedes Wesen, z.B. ein Pferd, ein Weinstock, dient irgendeinem Zweck. Was Wunder? Auch die Sonne wird dir sagen: “Ich muß wirken” und ebenso die übrigen Gottheiten. Wozu gibt´s dich? Etwa zu sinnlichen Freuden? Sieh doch einmal zu, ob vernünftiges Nachdenken das gestattet!
Es ist mit jedem Dinge, seinem Ende, Ursprunge und Bestehen nach nicht anders wie mit einem Ball, den jemand wirft. Ist´s etwas Gutes, wenn er in die Höhe steigt, oder etwas Schlimmes, wenn er niederfährt und zur Erde fällt? Was ist´s für eine Wohltat für die Wasserblase, wenn sie zusammenhält, und was für ein Leid, wenn sie zerplatzt? Und ebenso das Licht, wenn es brennt und wenn es verlischt?
Drehe einmal das Innere deines Körpers nach außen und sieh, welcher Art es ist, wenn Alter, Krankheit Ausschweifung ihn aufreiben! Kurz dauert sowohl das Leben dessen, der lobt, als dessen, der gelobt wird, dessen, der eines anderen gedenkt und dessen gedacht wird. Überdies geschieht dies ja nur in einem kleinen Winkel der Erde und selbst da stimmen nicht alle überein. Und die ganze Erde ist nur ein Punkt.
Was du tust, setze stets in Beziehung auf der Menschen Wohlfahrt; was dir widerfährt, nimm hin und beziehe es auf die Götter, als auf die Quelle aller Dinge, aus der jegliches Geschehen herausfließt.
Habe acht auf das, was dir gerade vorliegt, sei es eine Ansicht oder ein Geschehnis oder ein Ausdruck! Sonst geschieht dir ganz recht. Du willst lieber erst morgen gut werden, als es heute schon sein.
Was siehst du beim Baden? Öl, Schweiß, Schmutz, klebriges Wasser — lauter ekelerregende Dinge. Von ebender Art ist jeder einzelne Teil des Lebens und was darin vorkommt.
Lucilla sah den Verus sterben, nachher starb auch Lucilla, Secunda den Marimus und dann folgte ihm Secunda, Epitynchanus den Diotimus und bald folgte diesem Epitynchanus, Antoninus die Faustina und dann folgte ihr Antoninus nach, Celer den Hadrian und dann starb auch Celer. So ging´s mit allen.
Jene scharfsinnigen Menschen, jene Zukunftsdeuter, jene Hohlköpfe — wo sind sie? Wo, z.B., die scharfsinnigen Männer wie Charax, Demetrius, die Platoniker, Eudämon und andere der Art? Alle vergänglich und längst schon tot. Von einigen hat sich nicht einmal auf kurze Zeit ein Andenken erhalten. Aus anderen wurden Helden der Fabel; andere wiederum verschwanden bereits aus dieser Reihe. Gedenke also dessen, daß auch dein Körperbau sich auflösen, sein Lebensgeist erlöschen oder auswandern oder sich versetzen lassen muß.
Die Freude der Menschen besteht darin, wahrhaft menschlich zu handeln. Wahrhaft menschlich ist aber das Wohlwollen gegen seinesgleichen, Verachtung der Sinnenreife, Unterscheidung bestechender Vorstellungen, Betrachtung der Allnatur und ihrer Wirkungen.
Für den Menschen sind dreierlei Beziehungen wichtig, erstens die zu seiner eigenen, ihn umgebenden Körperhülle, zweitens die zu seinem göttlichen Ursprung der alles bewirkt, und drittens zu den Zeitgenossen.
Der Schmerz ist entweder für den Leib ein Übel — dann geht er nur diesen etwas an — oder eines für die Seele. Die Seele kann aber ihre Heiterkeit und Ruhe bewahren und den Schmerz deshalb für kein Übel nehmen. Denn Urteil, Trieb, Neigung und Abneigung haben sämtlich ihren Sitz im Innern. Und kein Übel kann da eindringen.
Unterdrücke deine Einbildungen und sage dir bei jeder Gelegenheit: Nun steht es doch bei mir allein, keine Bosheit, keine Begierde und überhaupt keine Leidenschaft in der Seele aufkommen zu lassen. Dagegen will ich alles nach seinem Wesen betrachten und seinem Wert entsprechend benutzen. Vergiß nicht diese dir von der Natur geschenkte Gabe!
Rede würdevoll im Senat wie im geselligen Verkehr, ohne affektiert zu werden. Rede mit gesunder Vernunft!
Der Hof des Augustus, seine Gemahlin, seine Tochter, seine Enkel, seine Stiefsöhne, seine Schwester, Agrippa, seine Verwandten, Hausgenossen und Freunde, Arius, Mäcenas, seine Leibärzte und Priester, kurz sein ganzer Hof — eine Beute des Totes! Von da geh weiter, nicht etwa zum Tod eines Einzelmenschen, sondern zum Aussterben ganzer Familien, wie der der Pompejer. Manches Grabmal trägt die Aufschrift: “Der Letzte seines Stammes.” Und nun stelle dir vor, wie sehr sich die Vorfahren bemühten, einen Stammhalter zu hinterlassen und doch mußte einer notwendig der letzte sein. Überdies denke an das Vergehen ganzer Geschlechter.
Wir müssen in unser Leben Ordnung und Planmäßigkeit bringen, und jede unserer Handlungen muß ihren bestimmten Zweck haben. Wenn sie den erreicht ist es gut; und eigentlich kann sie niemand daran hindern. Äußere Hemmnisse können wenigstens nichts tun, um sie minder gerecht (dikaosyne), besonnen (sophrosyne), überlegt zu machen (eulogistia), und wenn sie sonst deiner Tätigkeit etwas in den Weg legen, bietet sich wohl gerade durch ein Hindernis, wenn man´s nur gelassen aufnimmt und begierig acht hat auf das, was zu tun übrigbleibt, ein neuer Gegenstand der Tätigkeit, dessen Behandlung sich in die Lebensordnung fügen läßt, von der wir reden.
Sei bescheiden, wenn du empfangen, und frisch bei der Hand, wenn du etwas weggeben sollst!
Solltest du einmal eine abgehauene Hand, einen Fuß, einen Kopf, getrennt vom übrigen Körper zu sehen bekommen: siehe, das sind Sinnbilder solcher Menschen, die nicht zufrieden sein wollen mit ihrem Schicksal, oder deren Handlungsweise bloß ihrem eigenen Vorteil dient, ein Sinnbild auch deines Wesens, wie du manchmal bist. Doch sieh, es steht dir frei, dich wieder mit dem großen Ganzen zu vereinigen, von dem du dich geschieden hast. Anderen Gliedern des Weltalls verstattet die Gottheit nicht, nachdem sie sich abgelöst haben, wieder zusammenzukommen. Aber dem Menschen hat es ihre Güte gewährt. Sie legte es von Haus aus in des Menschen Hand, in dem Zusammenhang mit dem Ganzen zu verbleiben und wenn er daraus geschieden war, zurückzukehren, aufs neue mit ihm zu verwachsen und den alten Platz wieder einzunehmen.
Wie die Natur jegliches Hindernis als solches zu beseitigen, in ihre Notwendigkeit hereinzuziehen und zu einem Bestandteil ihrer selbst zu machen weiß, so kann auch das vernunftbegabte Wesen jede Hemmung in seinen eigenen Stoff verwandeln und sie benutzen zur Verwirklichung seines Strebens, worauf dasselbe auch gerichtet sein möge.
Wenn du dein Leben im ganzen vor dir hättest, wenn du sähest, was dir alles bevorsteht, welche Entmutigung müßte dich ergreifen! Aber wenn du ruhig wartetest, bis es kommt, und bei jedem einzelnen, wenn es da ist, dich fragtest, was denn dabei eigentlich nicht zu ertragen sei — du müßtest dich deiner Verzagtheit schämen. Kümmern sollten wir uns immer nur um das Gegenwärtige, da uns nur dieses, nicht Zukünftiges und nicht Vergangenes, wirklich lästig fallen kann. Und unfehlbar wird diese Last gemindert, wenn wir das Gegenwärtige rein so nehmen, wie es ist, ihm nichts Fremdes hinzudichten und uns selber widerlegen, wenn wir meinen, auch dies nicht einmal ertragen zu können.
Sitzen etwa auch jetzt noch Panthea und Pergamus am Sarge des Verus? Oder Chaurias und Diotimus an Hadrians Grab? Das wäre lächerlich. Würden es aber jene fühlen, wenn sie daneben säßen und, wenn sie es fühlten, würden sie sich freuen, und wenn sie sich freuten, würden diese dadurch unsterblich sein? War es nicht auch ihre Bestimmung zuerst, alte Frauen und Männer zu werden und dann zu sterben? Und können denn die Klagenden dem Tod entrinnen? Der ganze Körper ist ein Schlauch voll Unrat und Moder.
Ist dir Scharfsinn eigen, verwende ihn zu klugem Urteil.
Unter den Anlagen vernunftbegabter Wesen finde ich keine, die der Gerechtigkeit gegenübersteht, wohl aber eine, die der Wollust das Gleichgewicht hält: die Enthaltsamkeit.
Könntest du deine Ansicht über das, was dich zu schmerzen scheint, ändern, so würdest du vollständig in Sicherheit sein. Wer ist das du, frage ich: die Vernunft. Aber ich bin nicht die Vernunft, entgegnest du. Mag sein, wenn sich die Vernunft nur eben nicht betrübt. Alles übrige, wenn es sich schlecht befindet, mag denken und fühlen, was es will.
Jede Hemmung des Empfindungslebens sowohl, wie die eines Triebes ist für die tierische Natur ein Übel. Anders die Hemmungen und Übel im Pflanzenleben. Für die geistbegabten Wesen aber kann nur das ein Übel sein, was das Geistesleben stört. Hiervon mache die Anwendung auf dich selbst. Leid und Freude berühren nur die Sphäre des Empfindens. Eine Hemmung des Triebes kann allerdings auch schon für die vernünftige Kreatur ein Übel sein; allein nur dann, wenn es ein absoluter Trieb ist. Dann aber, wenn du so nur das Allgemeine ins Auge fassest, was sollte dir schaden und was dich hindern können? Denn in die dem Geiste eigentümliche Sphäre kann nichts anderes störend eingreifen, nicht Feuer, nicht Eisen, kein Despot, keine Lästerung, nichts, was nicht vom Geiste selber herrührt. Solange eine Kugel besteht, so lange bleibt sie eben — rund nach allen Seiten.
Habe ich noch niemals einen andern absichtlich betrübt so ziemt es mir auch nicht, mich selber zu betrüben.
Mögen andere ihre Freude haben, woran sie wollen; meine Freude ist, wenn ich eine gesunde Seele habe, ein Herz, das keinem Menschen zürnt, nichts Menschliches sich fernhält, sondern alles mit freundlichem Blick ansieht und aufnimmt und jedem begegnet, wie´s ihm gebührt.
Nütze die Gegenwart aus. Wer dem Nachruhm lieber nachgeht, bedenkt nicht, daß die kommenden Geschlechter ebenso beschaffen sein werden, wie jene, unter denen er leidet. Auch sie sind ja sterblich. Überhaupt was kümmert es dich, ob unter ihnen diese und jene Stimmen über dich laut werden oder ob sie diese und jene Meinung von dir haben?
Nimm mich und versetze mich, wohin du willst! Bringe ich doch überall den Genius mit, der mir günstig ist, den Geist, der seine Aufgabe darin erkennt, sich so zu verhalten und so zu wirken, wie es seine Bildung verlangt. Und welche äußere Lebensstellung wäre es wert, daß um ihretwillen meine Seele sich schlecht befinde und herabgedrückt oder gewaltsam erregt, gebunden oder bestürzt gemacht ihres Wertes verlustig ginge? Was kannst du finden, das solcher Opfer wert wäre?
Keinem kann etwas begegnen, das nicht Menschenschicksal wäre, so wenig als dem Stier etwas zustößt, das nicht der Stiernatur, oder dem Weinstock etwas, das nicht dem Wesen des Weinstocks, oder dem Stein etwas, das nicht der Natur des Steins angemessen wäre. Wenn nun jedem begegnet, was gewöhnlich oder natürlich ist, warum solltest du dich darüber ärgern? Denn die Natur durfte nichts Unerträgliches über dich verhängen.
Wenn in deiner Gemütsverfassung etwas ist, was dich bekümmert, wer hindert dich, den leitenden Gedanken der die Störung verursacht, zu berichtigen? Ebenso wenn es dir leid ist, das nicht getan zu haben, was dir als das einzig Richtige erscheint, warum tust du es nicht lieber noch, sondern gibst dich dem Schmerz darüber hin? Du vermagst es nicht, ein Hindernis, stärker als daß du´s beseitigen könntest, hält dich ab? Nun so wehre der Traurigkeit nur um so mehr: der Grund, warum du´s unterließest, liegt ja dann nicht in dir! Aber freilich, wenn man nicht so handeln kann, ist´s nicht wert zu leben. Und darum scheide du aus dem Leben mit frohem Mut und — da du ja auch sterben müßtest, wenn du so gehandelt — freundlichen Sinnes gegen die, die dich gehindert!
Die Seele des Menschen ist unangreifbar, wenn sie in sich gesammelt daran sich genügen laßt, daß sie nichts tut, was sie nicht will, auch wenn sie sich einmal unvernünftigerweise widersetzen sollte, am meisten aber, wenn sie jederzeit mit Vernunft zu Werke geht. Darum, sage ich, ist die leidenschaftslose Seele eine wahre Burg und Festung. Denn der Mensch hat keine stärkere Schutzwehr. Hat er sich hier geborgen, kann ihn nichts gefangen nehmen. Wer dies nicht einsieht, ist unverständig; wer es aber einsieht und dennoch seine Zuflucht dort nicht sucht, unglücklich.
Zu dem, was dich ein erster scharfer Blick gelehrt, füge weiter nichts hinzu. Du hast erfahren, der und jener rede schlecht von dir. Nun gut. Aber, daß du gekränkt seist, das hast du nicht gehört. Du siehst, dein Kind ist krank. Nun gut. Aber daß es in Gefahr schwebe, das siehst du nicht. Und so lasse es immer bei dem ersten bewenden, und füge nichts aus deinem Innern hinzu, so wird dir auch nichts geschehen. Hast du aber dennoch deine weiteren Gedanken dabei, so beweise dich hierin gerade als ein Mensch, der, was im Leben zu geschehen pflegt, durchschaut hat.
“Hier, diese Gurke ist bitter.” Lege sie weg! “Hier ist ein Dornstrauch.” Geh ihm aus dem Weg! Weiter ist darüber nichts zu sagen. Wolltest du fortfahren und fragen: aber wozu in aller Welt ist solches Zeug? so würde dich der Naturforscher gründlich auslachen, ebenso wie dich der Tischler und der Schuster auslachen würde, wenn du´s ihnen zum Vorwurf machtest, daß in ihren Werkstätten Späne und Überbleibsel aller Art herumliegen. Mit dem Unterschiede, daß diese Leute einen Ort haben, wohin sie diese Dinge werfen, die Natur aber hat nichts draußen. Sondern das Bewunderungswürdige ihrer Kunst besteht eben darin, daß sie, die sich lediglich selber begrenzt, alles, was in ihr zu verderben, alt und unnütz zu werden droht, so in sich hinein verwandelt, daß sie daraus wieder etwas anderes Neues macht, daß sie keines Stoffes außer sich selbst bedarf und das faul Gewordene nicht hinauswerfen muß. Sie hat an ihrem eigenen Raume, an ihrem eigenen Material und an ihrer eigenen Kunst völlig genug.
Sei in deinem Tun nicht fahrlässig, in deinen Reden nicht verworren, in deinen Gedanken (phantasia) nicht zerstreut; laß dein Gemüt (psuche) nicht eng werden, noch leidenschaftlich aufwallen, noch laß dich von Geschäften vollauf in Beschlag nehmen. Mögen sie dich ermorden, zerfleischen, verfluchen, was tut's? Deine denkende Seele (dianoia) kann dessenungeachtet rein, verständig, besonnen (sophrosyne) und gerecht (dikaiosyne) bleiben. Hört denn die reine süße Quelle auf, rein und süß zu quellen, wenn einer, der dabei steht, sie verwünscht? Und wenn er Schmutz und Schlamm hineinwürfe, würde sie's nicht sofort ausscheiden und hinwegspülen, um rein zu bleiben wie zuvor? Du auch bist im Besitz einer solchen ewig reinen Quelle, wenn du die Seele frei (eleutheria), liebevoll, einfältig ehrfurchtsvoll (aidemosyne) dir zu bewahren weißt.
Marcus erinnert sich hier daran, dass er innerlich unantastbar ist, weil er eine Quelle in sich erkannt hat (den freien Willen, göttlichen Anteil in uns) und sich auf diese besinnt. Aus dieser Freiheit heraus können ihm die Außendinge nicht antun (nur wenn er es zulässt), daher gibt es auch keine Ausreden für fahrlässiges Tun, verworrene Reden und zerstreute Gedanken.
Wer nicht weiß, was die Welt ist, weiß nicht, wo er lebt. Aber nur, der da weiß, wozu er da ist, weiß, was die Welt ist. Wem aber eins von diesen Stücken fehlt, der kann auch wohl seine eigene Bestimmung nicht angeben. In welchem Lichte erscheint dir nun der Mensch, der um den lauten Beifall jener buhlt, die nicht wissen, wo noch wer sie sind?
Soll dich ein Mensch loben, der sich in einer Stunde dreimal verflucht? Wie oft strebst du danach, einem Menschen zu gefallen, der sich selber nicht gefällt? Oder kann sich der gefallen, der fast alles, was er tut, bereut?
Hinfort verkehre du nicht bloß mit der dich umgebenden Luft, sondern ebenso auch mit dem alles umgebenden Geiste! Denn der Geist ergießt und verteilt sich nicht minder überall dahin, wo jemand ist, der ihn einzusaugen vermag, als die Luft dahin, wo man sie atmen kann.
Im allgemeinen schadet das Böse der Welt nicht, und im einzelnen Falle schadet es nur dem, dem es vergönnt ist, sich frei davon zu machen, sobald er nur will.
Nach meinem Dafürhalten ist die Ansicht, die mein Nächster hat, etwas ebenso Gleichgültiges für mich als sein ganzes geistiges und leibliches Wesen. Denn wenn es auch durchaus richtig ist, daß wir einer um des andern willen da sind, so ist doch jede unserer Seelen etwas Selbständiges für sich. Wäre dies nicht, so müßte ja auch die Schlechtigkeit meines Nebenmenschen mein Verderben sein, was doch der Gottheit nicht gefallen hat, so einzurichten, damit mein Unglück nicht von andern abhängig sei.
Die Sonnenstrahlen scheinen von der Sonne herzuströmen, und wiewohl sie sich überallhin ergießen, werden sie doch nicht ausgegossen. Denn dieses Fließen und Gießen ist nichts als Ausdehnung. Recht deutlich kann man sehen, was der Strahl sei, wenn die Sonne durch eine enge Öffnung in einen dunkeln Raum scheint. Ihr Strahl fällt in gerader Richtung und wird, nachdem er die Luft durchschnitten hat, an dem gegenüberstehenden Körper gleichsam gebrochen. Doch bleibt er an ihm haften und löscht nicht aus. Ebenso müssen nun die Ausstrahlungen der Seele sein, kein Ausgießen, sondern ein sich Ausdehnen, kein heftiges und stürmisches Aufprallen auf die sich entgegenstellenden Dinge, aber auch kein Herabgleiten von ihnen, sondern ein Beharren und Erleuchten alles dessen, was ihre Strömung begegnet, und so, als beraube jegliches Ding sich selbst ihres Glanzes, wenn es ihn nicht empfängt.
Wer sich vor dem Tode fürchtet, fürchtet sich entwedervor dem Erlöschen jeglicher Empfindung, oder vor einem Wechsel des Empfindens. Aber wenn man gar nichts mehr fühlt, ist auch ein Schmerz nicht mehr möglich. Erhalten wir aber ein anderes Fühlen, so werden wir andere Wesen, hören also auch nicht auf zu leben.
Die Menschen sind füreinander geboren. So belehre oder dulde, die´s nicht wissen.
Anders ist der Flug des Geschosses und anders der, den der Geist nimmt. Und doch bewegt sich der Geist, wenn er Bedacht nimmt, oder wenn er überlegt, nicht weniger in gerader Richtung und dem Ziel entgegen.
Suche einzudringen in jedes Menschen Inneres, aber verstatte es auch jedermann, in deine Seele einzudringen!