Was unterscheidet die stoische Philosophie von anderen Philosophien? Vor allem von Philosophen in den Zeiten nach der Antike? Ein Unterschied ist vor allem das Philosophieverständnis der Stoiker.
Im folgenden möchte ich einen Blick darauf werfen, was Philosophie - die Liebe zur Weisheit - für die Stoiker bedeutet.
Die Philosophie verspricht überhaupt nicht, dem Menschen irgendeins von den Außendingen zu verschaffen. Täte sie dies, so würde sie etwas auf sich nehmen, das nicht ihr Stoff ist. Denn gleich wie das Holz der Stoff des Zimmermanns und das Erz der Stoff des Bildhauers ist, so ist das Leben jedes Einzelnen der Gegenstand seiner Lebenskunst (technē).
- Epiktet, Unterredungen, 1.15.2
Das, was für den Bildhauer das Erz ist, ist das Leben für den stoischen Philosophen. Der hier wichtige Begriff ist technē. Technē bedeutet so viel wie Kunst, Fertigkeit oder praktisches Können. Und für die Stoiker geht es darum, die Fertigkeiten zu erlernen, ein gutes Leben zu leben. Und das beinhaltet nicht, sein Leben mit Dingen in der Außenwelt zu füllen. Was nicht heißt, dass Dinge keinen Bedeutung haben, aber sie haben eben nicht die höchste Bedeutung.
Beobachtet euch selbst bei euren Taten, so werdet ihr finden, zu welcher Philosophenschule ihr gehört. Ihr werdet sehen, dass die meisten von euch Epikureer sind, und einige wenige Peripatetiker, aber nur nachlässige und kraftlose. Denn wo sind die Werke, woraus man sähe, dass ihr die Tugend so hoch wie alles auf der Welt oder noch höher schätzt?
- Epiktet, Unterredungen, 2.19.20
In dem obigen Zitat verteilt Epiktet ein paar verbale Backpfeifen an seine Zuhörer. Denn es ist einfach, ein stoisches Zitat zu zitieren, aber das allein macht noch keinen Philosophen. Vielmehr kommt es darauf auf, dass man a) die Tugend als das höchste Gut ansieht und b) auch Ergebnisse aus dieser Haltung erfolgen.
Stoiker bringen ihre Theorie in die Praxis.
Das unterscheidet sie schonmal von vielen anderen Philosophien. Doch die Stoa ist eine Philosophie, die das Ziel des glücklichen Lebens gelöst haben möchte. Die besondere Herausforderung ist ja, trotz der Umstände "glücklich" (eudaimonia) zu sein statt es nur zu behaupten.
Seneca drückt es so aus:
Ihr (die Philosophie) Wesen liegt nicht im Wort, sondern in der Handlung. Sie dient nicht dazu, einen Tag in angenehmer Unterhaltung hinzubringen und die Qual der Langenweile loszuwerden: Sie formt und bildet den Geist, ordnet das Leben, regelt unsere Handlungen, zeigt uns, was zu tun und zu lassen ist, sitzt am Steuerruder und lenkt das Schiff durch die Fährnisse des Wogenschwalles.
Musonius Rufus bringt an anderer Stelle (Unterredungen 5) eine passende Frage dazu auf: würdest du lieber von einem Arzt behandelt werden, der viel über Medizin sprechen kann und wenig Erfahrung hat oder lieber von einem mit viel Erfahrung, der aber weniger Theorie predigen kann?
So auch in der Philosophie.
Die Fertigkeiten, die die Stoiker für ihre Lebenskunst benötigen, sind die Tugenden. Diese besondere technē besteht in einer sicheren und unerschütterlichen Einsicht in das, was zu jedem Zeitpunkt des Lebens angemessen ist. 1 Da für die Stoiker die Tugend auch Wissen (in erweiterter Form als der Begriff heute verwendet wird) bedeutet 2, kann man die Idee der Tugend auch verkürzt so ausdrücken:
Die Tugend ist das Wissen und die Fertigkeit um und für ein gelingendes Leben.
Das Verhältnis zwischen techne und episteme, also der Fertigkeit und dem Wissen, ist noch etwas differenzierter - aber eines ist klar: eine Fertigkeit muss geübt werden. Aus diesem Grund haben die Stoiker auch ein großes Arsenal an Übungen und einige Beispiele in ihren Überlieferungen parat. Denn erst die Praxis bringt die notwendigen Erfahrungen für die Seele.
Die Lebenskunst zu erlernen ist ein lebenslanger Prozess. Immer neue Herausforderungen verlangen von uns, dass wir unsere Kunstfertigkeit auf die Probe stellen und anpassen. Auch das Objekt der Kunst ist Veränderungen unterworfen.
Und wie das mit Hilfe der stoischen Philosophie gelingt, darum geht es auf stoiker.net.